Nachhaltigkeit, KI und wachsende Unsicherheit.
Janus Boye arbeitet seit 25 Jahren im Bereich Innovation und Digital Leadership. Seit vielen Jahren sind er und byte5 freundschaftlich verbunden und jedes Jahr im Dezember sprechen wir über mögliche Trends und Herausforderungen.
In deinem letzten byte5 Interview hast du von einer großen Erkenntnis gesprochen: Wie wichtig Nachhaltigkeit in der Digitalisierung ist. Wie hat sich das im Jahr 2023 entwickelt?
Leider stehen wir immer noch ganz am Anfang. Es gibt einige, die verstehen, dass es Sinn macht, digitale Lösungen auch nachhaltig umzusetzen, mit weniger CO₂. Aber es herrscht immer noch ein riesiger Schulungsbedarf. Allgemeines Verständnis dafür gibt es meiner Meinung nach noch nicht. Wir haben noch einen sehr langen Weg vor uns. Nachhaltigkeit ist ja auch mehr als „nur“ CO₂. Es geht auch um Diversität und Inklusion. In diesem Bereich sind wir ein bisschen weitergekommen, aber leider auch noch nicht am Ziel.
Ungefähr zu dieser Zeit letztes Jahr war mein Schwerpunkt CO₂. Wie machen wir Websites schlanker, mit weniger CO₂-Verbrauch? Es ist wichtig darüber zu reden: Egal, wie groß oder klein die Website, App oder digitale Lösung – jede Verbesserung zählt! Insbesondere Videos und hochauflösende Bilder haben einen hohen CO₂-Verbrauch. Da kann man einen riesigen Unterschied machen.
Aber im Laufe des Jahres habe ich erkannt, dass Digitalisierung auch Teil der Lösung für den Klimawandel ist. Wir kommen nicht ans Ziel ohne digitale Lösungen. Es gibt zum Beispiel Apps wie Too Good to Go. Die Verwendung der App verbraucht zwar CO₂, aber der Vorteil der App überwiegt, denn man bekämpft damit Lebensmittelverschwendung. Zusammenfassend kann man sagen: Wir müssen schlau damit umgehen.
Für mich war letztes Jahr eine Erkenntnis besonders wichtig: Wenn wir mit Umbraco oder mit einer anderen Lösung arbeiten, dann steckt dahinter auch ein Rechner irgendwo in einem Datencenter oder einer Cloud und – Überraschung – diese Infrastruktur verbraucht auch CO₂. Das muss uns bewusst sein. Dennoch habe ich in diesem Jahr nicht gespürt, dass Kunden darauf bereits achten. Ich denke, das ist ähnlich wie mit Datenschutz und Barrierefreiheit: Zuerst braucht es die Richtlinien. Das kommt nicht von selbst.
Welches Thema hat für dich das Jahr 2023 besonders geprägt?
Das wird euch sicherlich nicht überraschen: 2023 war das Jahr der Künstlichen Intelligenz (KI). Eigentlich ist es merkwürdig: Denn die KI ist nicht wirklich intelligent. Aber vielleicht ist das der Grund, dass so viel darüber gesprochen wird: Dieser Begriff macht uns Angst und er verunsichert. Man denkt an Science-Fiction-Filme. Und mit ChatGPT wird das Realität, aber selbst denkend ist die KI nicht wirklich. Du tippst etwas ein und der Input wird verarbeitet. Aber es gibt zahlreiche Beispiele, dass das Verhalten der KI nicht wirklich intelligent ist. Das könnte uns allerdings nächstes Jahr erwarten. Ich mache das seit Ende der 90er Jahre und Digitalisierung ist eine Reise. Unterwegs gab es einige Innovationen, die die Welt geprägt haben: Das iPhone, YouTube, Facebook – da ist viel passiert. Aber ChatGPT hat die Gespräche, den Austausch und Konferenzen dieses Jahr sehr geprägt.
Was erwartet uns also 2024 mit KI?
Vielleicht wird aktuell ein bisschen übertrieben, wie viel das alles kann und wie viel das ändern wird. Für mich sind zwei Punkte klar: Wir sind schlecht darauf vorbereitet, das ist Punkt 1. Wenn wir den Vergleich zu den sozialen Medien ziehen: Es hat 10 bis 15 Jahre gedauert und jetzt verstehen wir so langsam, wie Social Media auch größere Themen als die Digitalisierung beeinflusst, z.B. die Demokratie. Es entsteht jetzt ein Verständnis dafür, dass Facebook einen negativen Einfluss haben kann, dass es polarisiert, mit Fake News zum Beispiel. Und auf alle Themen, die mit KI kommen, sind wir leider genauso schlecht vorbereitet.
Als zweiten Punkt ist für mich klar, dass mit KI auch ein paar Jobs verschwinden werden. KI und Machine Learning wird aber vor allem ein Teil der meisten Jobs werden. Schon im Laufe dieses Jahres hatte ich viele Gespräche mit Menschen unserer Experten-Gruppen, die KI als Unterstützung nutzen. Uns erwartet eine riesige Umstellung, die auch einige Jobs kosten wird. Automatisierung ist hier ein wichtiges Stichwort. Das Thema ist wegen KI etwas in den Hintergrund gerückt, aber das kommt schneller als man vielleicht denkt. Sich wiederholende Tätigkeiten können automatisiert werden. Aber bei anderen Tätigkeiten können wir ChatGPT oder andere KI-Tools eher unterstützend nutzen, so wie Google Maps und Rechtschreibunterstützung.
Im beruflichen Kontext werden aber sicherlich die Erwartung steigen, denn mithilfe von Tools kann man schneller arbeiten. Unternehmen wie byte5 und andere digitale Dienstleister haben immer gemeinsam mit Kunden Prioritäten gesetzt: Was machen wir zuerst? Welche Sprachen setzen wir zuerst um? Welche Funktionen benötigen wir von Anfang an? Und ich denke, jetzt wird in kürzerer Zeit mehr umgesetzt werden und Kunden werden das erwarten.
Auch die technische Seite von KI hat mich Anfang des Jahres wahnsinnig beeindruckt. Bis dahin war ChatGPT für mich ein Textwerkzeug. Aber jetzt habe ich mehrmals gesehen, wie sehr gute Entwickler GitHub Copilot oder ähnliche KI-Tools nutzen. Sie werden dadurch produktiver und besser und das macht einen wahnsinnigen Unterschied. Vor einem Jahr war das noch unvorstellbar.
Auf welche digitalen und technischen Herausforderungen müssen wir uns denn 2024 einstellen?
Der ganze Markt ist für Kunden viel verwirrender als früher. Vor 5 Jahren hätten Unternehmen gesagt: Wir setzen hier Umbraco ein und los geht’s. Aber heute ist es nicht mehr nur Umbraco, sondern Umbraco mit weiteren integrierten Lösungen. Durch die vielen neuen Tools auf dem Markt entsteht Unsicherheit. Das prägt viele Unternehmen im Mittelstand aber auch viele Konzerne. Einige laufen aktuell auf veralteten Systemen. Es gibt einen Bedarf nach einer Weblösung, aber die Umsetzung ist unklar.
Eine Herausforderung für alle Unternehmen aus den letzten Jahren bleibt auch: Wie finden wir gute Leute? Das ist nicht einfacher geworden. Die Herausforderung ist, einen guten Arbeitsplatz zu schaffen, wo Leute mit Talent Lust haben, zu bleiben.
Eine technische Herausforderung der nächsten Zeit wird auch sein, die Tool- und KI-Entwicklung mitzuverfolgen. Es ist wahnsinnig viel los und wir wissen aktuell nicht, wie viele Hersteller es in einem Jahr überhaupt noch geben wird. Dadurch entsteht Unsicherheit: Auf welche Hersteller und Plattformen kann man langfristig setzen? Bei den Beta-Tools bleibt ein Risiko für Unternehmen: Gibt es einen Support, gibt es eine Hotline? Wird das Tool langfristig zur Verfügung stehen?
Im digitalen Umfeld geht aktuell alles sehr schnell: No-Code, Automatisierungen, KI, Machine Learning. Wir haben dieses Jahr viel Neues gelernt. Und mein Takeaway ist, dass wir mehr Zeit ins Lernen, Lesen und unsere eigene Weiterbildung stecken müssen.
Vielen Dank, lieber Janus, für die spannende Einschätzung, was uns im nächsten Jahr erwartet.